Wenn jemand mir vor einigen Jahren erzählt hätte, dass ein junger Kalifornier namens Logan LaPlante mein Leben nachhaltig verändern würde, hätte ich vermutlich nur geschmunzelt. Aber es passierte, als ich 2013 oder 14 seinen TEDx-Talk mit dem Titel „Hackschooling makes me happy“ sah. Für mich war der Vortrag des schlaksigen 13-jährigen, der mit langen Haaren und Mütze von seiner alternativen (Aus)Bildung erzählte, der erste Schritt „down the rabbit hole“, wie der Brite so schön sagt.
Weitere TED-Talks folgten (unter anderem der meistgesehensten TED-Talk aller Zeiten „Do schools kill creativity?“ von Sir Ken Robinson), Bücher, Videos, Blogposts, Vorträge und Unschooling bzw. Freilernen wurde zu einem Thema, das mich bis heute beschäftigt und interessiert. Vor allem jetzt, da ich Teil eines Elternteams bin, das sich entschieden hat, seinem Kind genau diesen Weg zu ermöglichen.
Selbstbetreuung und mein Leben als CFO
Bereits vor der Geburt unseres Sohnes war also klar, dass ich ihn zuhause betreuen würde. Wenn ich das erzähle, gibt es zwei Reaktionen, die ich am häufigsten darauf erhalte.
Die einen sagen „Also ICH könnte mir das ja NIE vorstellen! Ich bin ja auch noch Frau/ Arbeitskraft/ unabhängig etc.“, die anderen sagen „Würde ich ja auch gerne, aber WIR könnten uns das nicht leisten!“. Beides sind legitime Einwände und nichts liegt mir ferner, als mir ein Urteil über andere Wege als den unseren zu erlauben. Dennoch möchte ich beide Lager aufgreifen, Vorurteile aus dem Weg räumen und Möglichkeiten aufzeigen.
Im klassischen Sinne bin ich Hausfrau und Mutter, habe also einen Job, der für viele etwa 1950 redundant gemacht wurde. Im modernen und tatsächlichen Sinn bin ich eher der CFO, der Chief Family Officer unserer Familie. Neben der Begleitung unseres Sohnes versorge ich etwa 70% des Haushaltes, unseren Hund, koordiniere alle Termine und arbeite etwa 5-8 Stunden in der Woche in unserem Business.
Nachdem meine Elternzeit nun vorüber ist, erhalten wir genau 250€ Familiengeld, so viel ist dem Land Bayern meine Arbeit wert. Was eine faire Bezahlung für selbstbetreuende Mütter wäre, soll an dieser Stelle nicht das Thema sein, aber man überlege sich, in welchem finanziellen Rahmen eine 24-Stunden Bereitschafts-Kinderbetreuung, eine Haushälterin, eine persönliche Assistentin und ein Hundesitter zu Buche schlügen. Abgesehen davon sind ja auch alle Kräfte in Kinderbetreuungsstätten gnadenlos unterbezahlt, aber auch das soll nicht Thema dieses Posts sein.
Lager 1: Also ICH könnte mir das ja nicht vorstellen, „nur“ Mutter zu sein
Ich hoffe, Du verzeihst mir, wenn ich auf dieses Lager nur kurz eingehe. Inzwischen platzt mir nicht mehr die Hutschnur, wenn ich diese drei Buchstaben vor dem Wort Mutter sehe (Instagram-Abstinenz sei Dank!), aber ich will es nicht riskieren.
Ich bin immer noch Frau und habe dabei die (das) krasseste, schönste, wahnsinnigste Aufgabe/ Ehre/ Privileg, nämlich den Titel Mama. Einen Stempel, den ich freiwillig und liebend gerne trage, bis ich die Augen zumache und diese verrückte Welt verlasse. Mutter zu sein ist absolut crazy und unfassbar, daran ist nichts nur! Und „nur“ weil eine Mutter (oder ein Vater natürlich!) sich dafür entscheidet, ihr Kind zuhause zu betreuen, gibt man weder sein Selbstwertgefühl, noch seinen Wunsch nach Wachstum an der Pforte des Kreißsaals ab.
Anfangs war es schwierig, mit kleinem Baby Zeitfensterchen für mein eigenes Spiel zu finden, mal an einem Blogartikel zu tippen, ohne gleich wieder zu stillen, eine Windel zu wechseln, ein weinendes Baby zu trösten oder oder. Aber mit der Zeit ergeben sich diese Möglichkeiten wieder und so schafft sich „nur Mutter“ kreative Gelegenheiten, sich auszutoben.
Es ist völlig legitim, wenn eine Frau (oder ein Mann) das nicht möchte, genauso legitim ist es aber auch, wenn jemand diesen Weg für sich wählt.
Lager 2: WIR könnten uns das nicht leisten
Wo wir auch gleich beim nächsten Lager wären. Denen, die sich die Selbstbetreuung nicht leisten können. Oft folgt dieser Aussage erst einmal eine Aufzählung der Kredite, die bedient werden wollen, der Dinge, die man so dringend braucht und die unterhalten werden wollen. Die eigene Immobilie, zwei Autos, Urlaube…
Selbstbetreuung zu realisieren kann bedeuten, dass Abstriche gemacht werden müssen. Der Familienurlaub wird zur Staycation oder zumindest in den näheren Umkreis des Wohnortes verlegt, man lernt, mit einem Auto auszukommen, Wohneigentum wird auf die längere Bank geschoben (oder es wird weniger Haus gekauft, als möglich gewesen wäre).
Es lohnt sich außerdem,
- ein Budget zu haben und sich daran zu halten,
- sich auf die Suche nach den kleinen Lecks zu machen,
- Schulden intensiv abzubezahlen und keine neuen zu machen,
- die Lebenshaltungskosten auf ca. 60% des Einkommens des weiterverdienenden Parts zu reduzieren oder
- das andere Einkommen schon vorher teilweise oder ganz zu sparen, um ein finanzielles Polster aufzubauen.
Für uns hat sich eine Wahrheit herauskristallisiert: wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Klingt abgedroschen, ist aber sehr oft so; ich bin nicht so arrogant zu sagen, dass es immer, für alle Menschen 100% möglich ist!
So gestalten wir die Selbstbetreuung
Ich habe bereits ausführlich über unsere Wohnsituation vor dem Baby geschrieben (die Kurzversion: 1 ZKB, München, 590€ monatlich, Mann angestellt, ich selbstständig). Uns war relativ schnell klar, dass es in München aus verschiedenen Gründen keine Zukunft für unsere Familie gibt.
Wir fanden erstaunlich schnell zu exakt demselben Preis, den wir in München für 34 Quadratmeter bezahlt hatten, eine 3-Zimmer-Wohnung im selben Ort, in dem meine Eltern und Schwester wohnen.
Natürlich gibt es wie überall nicht nur Vorteile, nicht nur Regenbogen und Einhörner. Herr Sparfuchs arbeitet immer noch bei derselben Firma in München. Zu unseren Lebenshaltungskosten kommen nicht unwesentliche Reisekosten (zum Glück steuerlich absetzbar!), wir sind 3 Tage in der Woche getrennt, wir wohnen im Dachgeschoss und es ist sehr hügelig. Außerdem brauchen wir hier für verschiedene Unternehmungen ein Auto (für Arzttermine z.B.).
Doch die Bilanz ist positiv, nicht nur emotional, sondern auch finanziell! Es scheint unglaublich, aber wir haben geringere Lebenshaltungskosten, als wir sie in München (oder Umgebung) für eine vergleichbare Wohnung hätten. Ich kann einige Stunden pro Woche arbeiten, da meine Mutter unseren Sohn betreut (kitafrei bedeutet nicht, dass man als Mutter/ Vater 24 Stunden allein zuständig ist!) Und, ich bin ehrlich, ich genieße das Privileg, unseren Sohn beim Entfalten zu begleiten. Meistens wünsche ich mir, dass mein Mann dieselbe Erfahrung machen könnte, für mich eine unsagbare Motivation, weiter an unserem Business zu arbeiten.
Unendliche Möglichkeiten
Dieses Thema möchte ich an dieser Stelle auch noch aufgreifen. Nur weil Eltern selbstbetreuen, heißt das nicht, dass sie untätig herumsitzen. Es gibt dank des Internets, aber auch offline, so viele Möglichkeiten, das Familieneinkommen zu erhöhen. Die indirekte Erhöhung nicht zu vergessen!
Ich habe beispielsweise alles verkauft, was wir nicht mehr haben wollten – das kennen die Stammleser bereits von mir. Derzeit arbeite ich nicht mehr als Virtuelle Assistentin, halte es aber immer noch für eine optimale, weil extrem flexible, Verdienstmöglichkeit für Mütter. Wir haben unser Onlinebusiness und inzwischen auch einen kleinen, aber feinen Onlinehandel auf eBay. Gerade die Elternzeit ist die perfekte Option um kreativ zu werden, denk um die Ecke, mach es möglich, wenn Du es wirklich willst. So viel ist sicher: es ist alles wert.
Indirekt kannst Du selbstverständlich euer Einkommen auch erhöhen, indem Du
- einen Essensplan machst und auch nur das einkaufst, was Du brauchst,
- Coupons verwendest (z.B. mit der Glückskind-App von DM, bei der es monatlich Rabatte auf Windeln, andere Baby-, Pflege- und Haushaltsprodukte sowie Lebensmittel gibt oder mit der App von Payback)
- kostenfreie Aktivitäten mit Deinen Kindern genießt (seit mein Sohn laufen kann, weiß ich, dass auch der Gang zur Mülltonne zu einem Abenteuer werden kann),
- auf Conveniencelösungen verzichtest,
- weniger emotionale Leere erlebst, die Du mit Shopping füllen müsstest (hier nehme ich einfach mal mich ehemalige Kaufsüchtige als Vorzeigebeispiel, ich habe noch nie so wenig Verlangen nach Shopping gehabt wie im vergangenen Jahr),
- Cashback-Seiten verwendest
- und und und…
Ihr wollt selbst betreuen? Das solltet ihr beachten
Ganz wichtig ist zu allererst: beide Partner müssen sich einig sein, dass euer Kind (eure Kinder) selbst betreut werden sollen, statt in eine Betreuungseinrichtung zu gehen. Es kann sich viel Frust beim arbeitenden Elternteil breit machen und generell ist es schwierig, alleine an diesem Strang zu ziehen, während der andere wütend daneben steht.
Essentiell für das Seelenheil ist außerdem, dass der andere Elternteil die Aufgabe des Betreuenden anerkennt. Es ist nicht der Job der Kinder, dankbar für die Betreuung durch Mama oder Papa zu sein und vom Umfeld gibt es auch selten ein Schulternklopfen. Es ist schön, jemanden zu haben, der sieht, was man jeden Tag leistet und das wertschätzt.
Aus langfristiger finanzieller Sicht solltet ihr außerdem für die Rente des betreuenden Elternteils vorsorgen. Von der gesetzlichen Rentenversicherung gibt es für die Betreuung eines Kindes das Äquivalent eines feuchten Händedrucks und vor allem weibliche CFOs haben immer noch eines der größten Risiken für Altersarmut. Das ist eine ziemliche Schande, umso wichtiger, dass ihr nicht in diese Falle tappt. Da ihr ja beide an diesem Strang zieht, seht ihr auch beide, dass das im Interesse beider Elternteile (und jeden Cent wert) ist.
Ein Wort zum Abschluss noch zu den Anforderungen an den betreuenden Elternteil: ich hatte früher ziemlich Panik davor, alleine für die „Förderung“ meines Kindes verantwortlich zu sein. Was, wenn ich versage? Ich habe zwar ein breites Wissen, aber weiß doch längst nicht alles, was mein Sohn wissen muss. Hier kann ich Dich beruhigen (unterstützt u.a. durch Hirnforscher und Menschen, die selbst frei gelernt haben): Dein Kind wird nicht asozial, kein Tyrann, kein verwahrloster Analphabet.
Kinder wollen sich entfalten, Kinder wollen wachsen und lernen, sie wollen spielen und so die Welt erkunden. Es ist nicht Dein Job, das Feuer in Deinem Kind zu entfachen, sondern eher, die lodernde Flamme, die schon brennt, nicht im Keim zu ersticken. Ein gesundes Kind braucht keine Fördermaßnahmen. Gib Deinem Kind genügend Freiraum zum Spielen, begleite es achtsam, geh mit ihm raus in die Welt und schau zu, wie es sie erkundet. Inzwischen glaube ich, dass wir es sind, die von den Kindern etwas lernen können, nicht anders herum.
Tipps zum Thema:
- Sophie Mikosch – Kitafrei in der Praxis (Buch, in dem ich sogar auftauche, das habe ich durch Zufall beim Lesen herausgefunden!) – Sophie hat außerdem einen tollen Blog mit wertvollen Tipps für euren kitafreien Alltag, baut ein Mütternetzwerk für Selbstbetreuer auf und organisiert Familienurlaube!
- Jenniffer Ehry-Gissel – Schatz, ich bleib zuhause und Selbstbetreuen und Geld verdienen? (Bücher – habe ich selbst durch Zufall kürzlich entdeckt und noch nicht gelesen, stehen aber direkt als nächster und übernächster Punkt auf meiner Liste!)
- André Stern – Und ich war nie in der Schule (Buch// oder im Kindergarten)
- Gerald Hüther – Jedes Kind ist hochbegabt. Die angeborenen Talente unserer Kinder und was wir aus ihnen machen (Buch)
- John Kim Payne – Simplicity Parenting (Buch// führt ein wenig vom Thema weg, darf aber aber für 0,99€ als E-Book nicht fehlen!)

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- Foto: Jordan Whitt auf Unsplash
Das was Du beschreibst zum Thema Selbstbetreuen war vor 25 Jahren der ganz normale Standard, so wurde es hier überall gemacht. Schwierig wurde es nach drei Jahren, da gab es kein Geld mehr vom Staat und auch keine Rentenpunkte, dafür aber so gut wie keine Betreuung (das scheint jetzt ja besser zu sein), und mit Schuleintritt wurde die Betreuungszeit noch mehr (nur noch vormittags in der Schule und viele Ferien). Dadurch dass es nur ein Auto gab (wie Du ja auch schreibst…) und wir auf dem Land lebten war ich ziemlich abgeschnitten von allem und fand das nach einer gewissen Zeit alles gar nicht mehr schön….
Im Nachhinein würde ich sagen, nicht die ersten Jahre sind ein Problem, sondern die folgenden ca. 15 Jahre, in denen Frau meistens auch nur eingeschränkt berufstätig sein kann…(ich nehme an, Dein Kind ist noch unter drei Jahren?). Ich bin sehr gespannt, wie es Dir in den nächsten Jahren ergeht und welche Möglichkeiten es heute gibt, das alles „anders“ zu gestalten!
Hallo! Ich bin Lager 1, bediene mich aber am Wort ’nur‘ nicht. Mutter zu sein, ist ganz großartig. Meinem Beruf nachzugehen, dort Menschen zu treffen und mal was anderes im Kopf zu haben, ist ebenso großartig.
Und ich bin Lager 3. Ich gebe mein Kind in Fremdbetreuung, weil ich es extrem wichtig finde, dass es mit gleichaltrigen zusammen ist, weil man gewisse Dinge von selbigen besser lernt. Weil ich dann auch mal durchatmen kann und alleine frühstücken/duschen whatever.
Ich bin eindeutig pro Fremdbetreuung (unter gewissen Rahmenbedingungen) und finde es doof, dass man sich als Mutter offenbar doch immer rechtfertigen muss, warum man dieses oder jenes macht.