So wie wir will doch keiner leben. Gesagt hat er es nicht, aber ich sehe es ihm an. In wenigen Tagen kommt die Steuerberaterin zu Besuch und meinem Mann ist es unangenehm.
Er blickt sich im Zimmer um und versucht zu sehen, was sie sehen wird. Einen unattraktiven grauen Arbeitstisch, an dem wir essen. Nur zwei Stühle, die noch aus seiner Studentenbude stammen, die von Nägeln zusammen gehalten werden und bei denen es sich nicht mehr rentiert, sie neu zu beziehen.
Daneben stehen Kisten mit Kleidung für unseren Ebayshop, irgendwo das kleine Spielzeugauto unseres Sohnes. Im Esszimmer steht ein weiterer Tisch, an dem mein Mann arbeitet, wenn er da ist. Auch er ist grau. Ein typischer langweiliger Tisch aus einem typischen langweiligen Büro. 15 Euro kostete einer im Second Hand. Sie sind traumhaft zum arbeiten, aber echt ganz schön hässlich. Beim Transport in unsere Dachgeschosswohnung hab ich mir fast den Rücken abgebrochen, so schwer sind die Teile.
Das zweite Zimmer unserer Wohnung ist eine Kombination aus Schlafzimmer und Wohnraum. Hier steht unser Familienbett, na okay, es sind zwei große Matratzen auf Lattenrosten am Boden. Unser Sofa haben wir Second Hand über die Ebay Kleinanzeigen gefunden, den Schrank auch.
Zimmer Nummer 3 ist das Kinderzimmer. Kein perfekt kuratiertes „Pinterest worthy“ Paradies, sondern ein normales Zimmer, ein bisschen bunt, mit einem Second Hand Teppich, auf dem unser Sohn seinen Fuhrpark lagert.
Irgendwo ist Kugelschreiber an den Wänden, „wir malen nur auf Papier“ nimmt er noch nicht so ernst (keine Sorge, wir überstreichen das wieder), der Boden ist scheußlicher „greiger“ Laminat und das Bad sieht eher nach den 70er Jahre Gedächtnismuseum aus, als nach sonst irgendwas.
Um das Bild zu vervollständigen: In unserer Küche stehen ein Standherd (my Pride and Joy), eine Kommode, eine Spülmaschine, ein Regal und ein Kühlschrank. Ein Waschbecken haben wir seit unserem Einzug im Oktober 2017 immer noch nicht gekauft.
Weil es für uns keine Priorität hat. Wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich mal fast 2 Jahre meines Lebens ohne fließendes Wasser in der Küche verbringen würde, hätte ich ungläubig den Kopf geschüttelt. Aber jetzt, da ich es lebe, ist es so irrelevant. Genauso wie die perfekte Farbe an der Wand des Kinderzimmers (nicht kugelschreiberblau), ein schicker neuer Boden, neue Stühle.
Wir sind zusammen. Unsere Bäuche sind jeden Tag voll. Wir haben fließendes, sauberes Trinkwasser in unserer Wohnung, die uns vor Regen und Sonne und Schnee und Wind schützt.
Statt ein Spülbecken zu installieren haben wir:
- alle unsere Schulden abbezahlt und unsere Finanzen generalüberholt
- einen gut gefüllten Notfallfonds, der unsere Kosten für mehr als 3 Monate decken kann, sollte irgendwas sein,
- keine neuen Schulden gemacht,
- einen Kontostand, der mich immer wieder ungläubig grinsen lässt,
- 10% unseres Einkommens gespart und investiert,
- viel mehr Ruhe und Entspannung in unserem Leben,
- hochwertige und leckere Nahrungsmittel im gut gefüllten Kühlschrank,
- einen Garten angelegt und für kleines Geld eine Gartenlounge gebaut (Recycling, Baby!),
- inzwischen sogar zwei Autos, eins gemietet und eines vom Schwiegerpapa geschenkt bekommen, beide können wir problemlos unterhalten und noch dazu
- genügend Geld beiseite, um entspannt 10% für unser zukünftiges Haus anzahlen zu können, wenn wir es endlich finden.
In unserem Haus werden wir dann voraussichtlich auch für eine Weile so leben, wie keiner leben will. Wir werden vielleicht nicht sofort neue Böden legen, sondern einen schönen Teppich drauf. Wir werden vorerst mit Holz heizen, bis wir eine Heizung finanzieren können. Möbel selbst aus Abfallholz eines Schreinereibetriebs bauen, weil es weh tut, das schöne Holz verheizt zu wissen, auch wenn der Ofen eine ganz besondere Atmosphäre schafft.
Aber was keiner sieht, ist der innere Frieden, den uns so ein Leben bringt. Die Bescheidenheit, weil es vielen so oder noch viel schlechter als uns in diesem reichen Land geht und die kleine Freude, wenn man beim Besuch einfach in die Küche läuft und dort Wasser hat. Das kleine Upgrade, das sich nach Millionen anfühlt, weil es erwartet wurde.
Live like no one else now, so you can live and give like no one else later, sagt Dave Ramsey. Ich für meinen Teil weiß, wieso wir jetzt so leben, wie sonst keiner leben will. Und ich freue mich, irgendwann meinen Enkeln davon zu erzählen, wie das so war, als Oma und Opa in der Badewanne Geschirr gespült haben. Zwei Jahre lang im 21. Jahrhundert mitten in Deutschland.
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