Vor kurzem stolperte ich auf Pinterest über diesen Artikel von Frau Chefin. Sie stellt darin die Frage: „Kann man auch auf dem Land ein erfolgreiches Online-Business aufbauen?“
Sie selbst hat ihres auf dem Land aufgebaut und da wir selbst im Oktober von München aus in einen oberfränkischen Luftkurort gezogen sind, hat ihr Artikel mich sofort angesprochen!
In unserer Umgebung gibt es erstaunlich viele Firmen jeder Größe (und viele Firmen für Kinderzubehör, von Concord in Stadtsteinach über Cybex in Bayreuth bis Kiddy in Hof).
Niedrigere Gewerbesteuer und Löhne
Ein Grund, weshalb sich viele Firmen in wirtschaftlich schwächeren Gebieten Deutschlands ansiedeln (statt ins osteuropäische oder asiatische Ausland zu ziehen), ist zum einen die niedrigere Gewerbesteuer. Der Hebesatz für München liegt seit 1997 bei 490%. Im Vergleich dazu liegt der Hebesatz für Kulmbach (unseren Landkreis) bei 350%. Zusätzlich gibt es häufig Incentives, wenn Du Deine Firma hier ansiedeln möchtest, denn jeder Bürgermeister ist dankbar für mehr Wirtschaftskraft in seinem Ort.
Die Löhne hier sind ebenfalls geringer, als in der Landeshauptstadt, wo oft noch ein „Münchenzuschlag“ gezahlt wird, der aber selten die tatsächlichen Lebenshaltungskosten abfedert.
Geringere Lebenshaltungskosten
Da kommen wir gleich zum nächsten Punkt und einem der ausschlaggebenden Punkte für unseren Umzug (neben der Tatsache, dass wir nun im gleichen Ort wie meine Eltern und Schwester wohnen).
In München haben wir für unsere 34 Quadratmeter Wohnung mit einem Zimmer 480€ kalt/ 590€ warm gezahlt. Hier haben wir eine 3-Zimmer-Wohnung mit ca. 75 Quadratmetern für 330€ kalt/ 550€ warm. Den Ausblick gibt’s gratis dazu.
Die Preise für normale Lebensmittel sind natürlich sehr ähnlich. Deutlich bemerkbar machen sich die Unterschiede z.B. bei Backwaren, bei Gemüse, bei lokalen Produkten. Als ich das erste Mal beim Bäcker einkaufen war, dachte ich, ich höre nicht richtig! Die Preise sind 15-35% geringer. Dank unserer Spartipps für Lebensmittel haben wir unser Budget für Lebensmittel fast halbiert.
Weniger Beat
Klar, im Gegensatz zur Stadt geht hier deutlich weniger. Man hüpft nicht mal eben in die U-Bahn und fährt zu einem Event, einem Konzert, nem Vortrag oder einem Get-Together. An manchen Tagen ist das echt nervig (auch wenn’s für den eigenen Geldbeutel richtig gut ist).
Alles ist deutlich weiter weg. ABER genau das bewirkt oft, dass sich alternative Wege finden, zu netzwerken. Hier gibt es zum Beispiel eine Künstlerkolonie und viele richtig tolle und richtig coole Leute, die gemeinsam was bewegen wollen. Im Gegensatz zum Glockenbachviertel, zu Kreuzberg, zu St. Pauli ist die Gentrifizierung so weit weg, dass sich hier keiner darum Sorgen macht.
Mehr Ruhe und Raum
Das merke ich an mir selbst und an meinem Mann, der 3 Tage pro Woche in München verbringt. Die weiten landwirtschaftlichen Flächen, die Wälder, die fehlenden Hochhäuser geben einem das Gefühl, sich hier wirklich entfalten zu können.
Klar, es gibt hier prozentual mehr Kreißsägen pro Einwohner (und die werden ab 7:30 Uhr morgens in Betrieb genommen – ohne Rücksicht auf Verluste!), aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Und mit Kind kann ich mich eh nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal länger als bis 6 Uhr geschlafen habe.
Brauchst Du Platz für Dein Business, ist das auch kein Problem. Stauräume, Werkstätten, Lagerhallen gibt es generell auch für für kleines Geld.
Für mich birgt das auch noch einen anderen Vorteil.
Weniger Druck
Zum einen weniger Druck beim weiteren Ausbau unseres Businesses und zum anderen wirken alle Mitbewerber so unglaublich weit weg, dass sie aus den Augen, aus dem Sinn sind.
Trotzdem kannst Du im Gegenzug auf den gesamten Markt zugreifen, da Dein Business ja online statt findet! Durch die Man-redet-mehr-miteinander-Mentalität am Land finden sich häufig auch Kooperationen und neue Kunden, die am Land häufig noch nicht so sehr online vertreten sind, wie in der Stadt.
Weniger Infrastruktur
Co-Workingspaces, flächendeckender Handyempfang – das sucht man am Land häufig vergeblich. Lustigerweise haben wir hier eine schnellere Internetverbindung als in München (wir hätten dort selbstverständlich auch upgraden können, haben wir aber nie gemacht).
Bei der Wohnungs- oder Hausbesichtigung solltest Du unbedingt Dein Smartphone in der Tasche haben und mal zu checken, ob Du eine gute Verbindung bekommen kannst. Und ein Blick in Richtung Vodafone (oder einem Provider Deiner Wahl) lohnt sich auch: wie schnell ist das Internet an Deinem zukünftigen Wohnort?
Wir waren hier förmlich weggepustet. In unserer Wohnung haben wir neben dem schnellen Internet Zugang zu einem Hotspot der Telekom und 4G. Ich genieße es, richtig telefonieren zu können ohne dass meine Verbindung ständig gestört ist, wie das in unserer großen Mietskaserne in München ständig der Fall war!
Kurze Dienstwege
Zu guter letzt noch ein kleiner Vorteil, den viele nicht bedenken. In Städten, in denen die Unternehmer mit ihren Investitionen Schlange stehen, bist Du einer von vielen. Sie brauchen eine Genehmigung? Dauert unter Umständen 6-12 Wochen, danke und tschüss.
Auf dem Land? Geh mit Deinem guten Plan hin, gib ihnen ein paar Tage und in der Regel hast Du Deine (zu 80% positive) Antwort in der Hand.
Falls Dein Plan so nicht durchgeht, reichen meistens kleine Änderungen. Und es gibt oft noch Unterstützung aus verschiedenen Förderungstöpfen. Just saying!
Mein Fazit
Auch wenn ich manchmal meinen Venti Coffee Latte bei Starbucks vermisse oder die Möglichkeit, mal schnell über die Straße in den Supermarkt zu springen, habe ich es bisher keinen Tag bereut, den Schritt aufs Land gewagt zu haben. Ganz im Gegenteil: manchmal ärgert es mich, dass wir es nicht schon früher gewagt haben.
Inklusive der Bahnreisen und Hotelkosten meines Mannes haben wir jetzt weniger Ausgaben (!) als in München für einen größere Wohnung, in die wir mit Kind unweigerlich hätten umziehen müssen (wenn wir denn überhaupt eine gefunden hätten…). Schizophren, oder?
Wenn eine einigermaßen gute Bahn- oder Autobahnanbindung und gutes Internet gegeben sind, wagt es. Lasst den Beckenrand los und genießt die gute Luft!
Foto: Lukas Häffele / Daniel Fazio on Unsplash